„Erfahrung Paartherapie“: Christine Weiß über den Umgang mit Trauma in Beziehungen

Wenige reden gerne über ihre Traumata, doch zugleich können traumatische Erfahrungen uns selbst und die Beziehungen zu unseren Mitmenschen negativ beeinflussen. In diesem Interview beantwortet Christine Weiß die folgenden Fragen: Woran erkenne ich, dass ein Trauma meine Beziehung beeinflusst? Wie gehe ich damit um, wenn mein Herzensmensch ein Trauma erlebt hat? Und wie kann eine Paartherapie Paare beim Heilen unterstützen?

Christine Weiß ist von ICEEFT zertifizierte EFT-Supervisorin und Therapeutin. Sie führt gemeinsam mit ihrem Mann Hendrik Weiß die Praxis für Emotionsfokussierte Therapie in Hannover, und ist 1. Vorsitzende des EFT-Berufsverbandes in Deutschland, der EFTCD. Durch ihren Hintergrund als Practioner für Somatic Experiencing nach Peter Levine, ist ihr die Arbeit an Traumaheilung in der Paartherapie ein besonderes Anliegen.
Im Interview für „Erfahrung Paartherapie“ habe ich sie als sehr mitfühlend, klar und wach erlebt. Wenn du selbst Therapeut*in bist, empfehle ich dir außerdem das gesamte Interview anzusehen. Du findest es am Ende des Artikels. Im Video spricht Christine Weiß noch mehr über Dynamiken und Wissenswertes für den therapeutischen Umgang mit Traumata. Im November 2020 bietet Christine ein Supervisionswochenende für EFT-Therapeut*innen an.

[Kurzer Disclaimer: Dieses Interview ist kein Ersatz für eine Therapie. Wenn du merkst, dass dir der Ansatz gut tut, frage gerne nach Hilfe! Um Hilfe zu bitten ist ein Zeichen von Stärke]

Hallo Tine, als Paartherapeutin hast du gelernt, wie wir gut mit Krisen umgehen können. Was hat dir in der Zeit der Corona-Ausgangssperre geholfen?

Christine Weiß: Ich glaube, dass bei den meisten von uns in der Corona-Krise etwas auf den Kopf gestellt wurde und viele Veränderungen erlebt haben. Was mir geholfen hat, war einfach die Situation anzunehmen und zu spüren, was gerade da ist. Sich Einzufühlen - das ist ja auch gewissermaßen die Grammatik der Emotionsfokussierten Paartherapie (EFT).

trauma heilen durch stabile Beziehungen. So überwindet ihr traumata dank einer Paartherapie.

Was Klient*innen konkret in der Corona-Krise bewegt hat, waren auch Existenzängste. Existenzängste nicht nur bezogen auf „Oh Gott, ich hab keine Arbeit mehr oder verliere mein Einkommen“, sondern wirklich bezogen auf Krankheit und Sterben. Dann kann es sehr heilsam sein, sich mit seinen Ängsten zu beschäftigen und diese nicht wegzudrücken.

Jetzt haben wir das Thema „Trauma“ schon auf dem Tisch. Was ist wichtig über Trauma zu wissen?

Christine Weiß: Letztlich geht es bei Trauma immer um Existenzängste, also um Leben und Tod. Ein Trauma überleben wir. Es steckt in unserem zentralen Nervensystem. Ansonsten wäre es kein Trauma. In der Regel war es überwältigend und es war zu viel für unser Nervensystem, als das wir es hätten regulieren und integrieren können, was wir erlebt haben.

Trauma ist natürlich ein riesiges Feld, das wir längst nicht in einem Interview abdecken können. Für Therapeut*innen ist wichtig zu verstehen, dass Trauma eine besondere Dynamik in unsere Beziehungen bringt. Mit am schwerwiegendsten können Bindungstraumata sein. Damit werden wir in der EFT auch nicht so selten konfrontiert.  Ein Bindungstrauma entsteht, wenn Bindungsfiguren, wie etwa Eltern, uns ignoriert, vernachlässigt oder körperlich oder emotional geschadet haben.

Ich bezeichne diese Dynamik gegenüber meinen Klient*innen als den „Trauma-Drachen“. In einer EFT-Paartherapie geht es darum, diesen Drachen zu identifizieren, in den Raum zu stellen und aus einer sicheren Entfernung zu bearbeiten. Denn wenn dieser „Trauma-Drachen“ im Nebel steht, bekommt er Energie und Kraft. Er übernimmt Prozesse, lässt Klient*innen dekompensieren (vereinfacht gesagt: ein Nervenzusammenbuch) oder dissoziieren (vereinfacht gesagt: eine Abspaltung). Klient*innen verstehen dann oft nicht mehr, was mit ihnen los ist.

Teile diesen Artikel über Trauma doch - vielleicht kannst du so helfen, ein Trauma zu überwinden oder es zu enttabuisieren?

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Zum Beispiel kann es dann passieren, dass in unserem Kopf wie eine Bombe explodiert, nur weil unser Partner uns mit einer strengen Stirnfalte im Gesicht angeschaut hat. Wir als Therapeut*innen müssen unseren Klient*innen gerade am Anfang des Prozesses helfen zu erkennen, dass es hier um ein Trauma geht und dass das zu einem Katalysator für unsichere Bindung wird.

Woran erkenne ich, dass es sich um ein Trauma handeln kann?

Christine Weiß: In der Paartherapie beginnt dies mit einer guten Anamnese. Aber es gibt auch ein paar Marker, auf die wir im Kontakt mit unseren Klient*innen achten können: Ist unser Gegenüber präsent oder wirkt er fast wie abwesend? Kann er/sie kohärent über eigene Emotionen berichten oder ist das fragmentiert? Sind die Reaktionen auf Trigger überreguliert oder unterreguliert? Bei diesen Markern für Trauma können wir tiefer einsteigen und gemeinsam forschen.

Wie ist die Prognose für Beziehungen, in denen selbst ein Trauma entsteht? Damit meine ich sowohl Bindungstraumata als auch existenzbedrohliche Situationen, wie einen Unfall.

Christine Weiß: Das hängt davon ab, wie resilient die Beziehung ansonsten ist. Wie ist die Ursprungsdynamik, welche Bindungsstile – sichere oder unsichere - haben die Personen bereits mitgebracht, wie flexibel sind sie in ihrem Selbst- und Fremdbild. Letztlich ist jede Bindungsverletzung eine Art Trauma und wir arbeiten in der EFT mit Bindungsverletzungen. Aber es gibt eben auch Grenzen, zum Beispiel bei anhaltender Gewalt.

Hast du Tipps, um Resilienz in der Beziehung aufzubauen?

Christine Weiß: Sue Johnsons Buch „Halt mich fest“ lesen [lacht]. Neulich kam zu uns tatsächlich auch ein Paar, denen ein Gutschein für eine Paartherapie für ihre junge Ehe geschenkt wurden. Dieses Paar hatte tatsächlich noch keinen ausgeprägten Teufelsdialog oder Bindungsverletzungen. In der Sitzung haben wir potenzielle Gefahren dafür analysiert und besprochen, wie sie im Fall der Fälle damit umgehen könnten.

Wie hilft resilienz bei der überwindung von trauma? Wie kann eine Paartherapie unterstützen?

Resilienz aufzubauen bedeutet schlussendlich zu wissen, was man tut, wenn Verletzungen geschehen. Paare, die wissen, wie sie ihre Verbindung reparieren, wenn Verbundenheit verloren gegangen ist, sind resilient. Wenn wir verliebt sind , dann fällt es uns Menschen leichter uns zu zeigen und zu öffnen. Doch wir verlieren uns manchmal und das ist ganz normal. Reparieren ist nachhaltig die beste Resilienz. Letztlich geht es darum, wieder in Kontakt zu gehen. Kontakt und sichere Verbindung ist die Resilienz für alles, auch für Trauma.

Was können wir tun, wenn ein Trauma mit in eine Beziehung gebracht wird?

Chistine Weiß: Wir alle bringen unsere Bindungstraumata in der Regel mit in eine Beziehung, wenn wir sie nicht schon durch eine Traumatherapie bearbeitet haben. Wir als Therapeut*innen müssen natürlich die Orientierung haben und sie Paaren auch mitgeben. Wenn ich z.B. weiß, dass mein Partner als Baby emotional vernachlässigt wurde und weiß, dass etwa Verlassensängste berührt werden, wenn ich zu rational, zu abgelenkt oder nicht liebevoll genug in meiner Zuwendung im Alltag bin, kann ich anders auf ihn zugehen.

Wenn ich weiß, ich triggere in solchen Momenten eine Ur-Erfahrung von Verlassenheitspanik, dann kann ich lernen, damit umzugehen und gemeinsam mit meinem Partner den „Trauma-Drachen“ bekämpfen. Und das ist auch unsere Aufgabe als Partner*in. Denn um ein Trauma zu bewältigen, brauchen wir korrigierende, sichere Bindungserfahrungen – und das sagen auch Studien, z.B. von Mikulincer, Shaver und anderen Bindungsforschern. Unsere aktuellen Partner können uns helfen, frühere Traumata zu heilen.

Mit meinem Herzensmenschen mein Trauma zu teilen, anstatt es alleine mit mir herumzutragen, kann also heilend sein?

Christine Weiß: Unbedingt kann es heilend sein, ein Trauma zu teilen, denn ein Trauma passiert oft, gerade weil wir alleine sind. Wir Menschen sind nicht dafür gemacht, alleine zu sein. Manchmal braucht es auch Geduld, die Unterstützung durch eine Therapie, und Mut, um davon zu erzählen.

Trauma überwinden? Wie entsteht ein Trauma überhaupt?

Deswegen kann es auch helfen, zusätzlich zur Paartherapie, eine Traumatherapie, Körpertherapie oder ähnliches in Anspruch zu nehmen, und ein Netzwerk zu nutzen. Und das gilt auch für uns Therapeut*innen. Auch wir müssen nicht alleine in unserer Therapeutenrolle gegen den „Trauma-Drachen“ kämpfen. Wir können auch zusätzliche Therapien empfehlen, oder selbst in Supervision oder mit Kollegen in den Austausch gehen.

Auf was können Paare achten, wenn Trauma eine Rolle spielt?

Christine Weiß: Wir müssen nicht zu viel Angst vor der Arbeit mit Traumata haben, denn Traumata sind Teil des menschlichen Daseins. Ein Trauma hat auch mit Wachstum zu tun. Da braucht es Geduld, denn es zu bearbeiten kann mehrere Jahre dauern. Wichtig ist außerdem die Orientierung als Paar. Für Paare ist wichtig zu verstehen, womit sie es zu tun haben. Wann wird das Trauma getriggert? Und welche Ressourcen bringen sie schon mit? Also was können Paare tun, wenn es getriggert wird und auf welches Netzwerk können sie zugreifen? Wir müssen uns außerdem bewusst machen, dass es auch emotional schwer ist, vom Trauma unserer Partner*in zu erfahren.

Was sind die Gefühle, die man als begleitender Partner erlebt?

Trauma zu überwinden beginnt mit Akzeptanz.

Christine Weiß: Überwältigung, Hilflosigkeit, natürlich auch Schmerz. Das Schlimmste ist eigentlich, den Schmerz zu spüren, aber nichts tun zu können. Diese Hilflosigkeit kann heftig sein und auch wieder zurückwirken.

Als EFT-Paartherapeut*innen wissen wir aber, dass Partner*innen sehr viel tun können. Paare können gemeinsam an einer sicheren Bindung arbeiten und ein Trauma so Stückchen für Stückchen heilen. So können wir lernen, leichter mit dem Trauma zu leben, oder den Einfluss des Traumas zusammen besser zu händeln.

Was möchtest du zum Thema Trauma noch benennen?

Christine Weiß: Es wäre schön, wenn wir damit offener sein können. Es ist wichtig, dass wir Trauma nicht negieren, verheimlichen, wegschieben oder verharmlosen. Es geht einfach darum, mit dem Trauma präsent und wachsam umzugehen, und zu lernen, dem „Trauma-Drachen“ gemeinsam ins Auge zu schauen. So verhindern wir, das noch mehr Scham und das Gefühl von Isolation dazu kommen.

Vor allem ist es wichtig zu wissen, dass wir uns gegenseitig unterstützen können. Selbst wenn ein Trauma früher passiert ist, können wir als Partner, Familie, eben Bindungsfigur, ganz viel tun.

Was heißt das konkret für unseren Umgang?

Christine Weiß: Bindung, die wir erleben, holt uns ins Hier und Jetzt – das heißt, wir sind dann nicht mehr im Trauma von damals. Wenn wir es schaffen, physisch und emotional anwesend zu sein, tun wir so viel. Und natürlich geht es auch darum, die Hilflosigkeit nicht zu verdrängen.

Trauma heilen in der Paartherapie:  Sie hilft bei einer sicheren Bindung i:

Ich hatte einmal ein Paar, das Trauma-Heilung sehr schön bildlich beschrieben hat: „Ich sitze mit dir, ich halte deine Hand, wir sind hier zusammen in diesem schwarzen Loch und wir bleiben hier zusammen. Du bist hier nicht alleine.“ Es ist absolut normal, wenn wir mit einem Trauma konfrontiert werden, uns überwältigt und hilflos zu fühlen. Sonst wäre es ja auch kein Trauma. Und deswegen brauchen wir einander, wir brauchen Kontakt. Als Traumaüberlebende und als Partner*innen von Traumaüberlebenden.

Doch natürlich brauchen wir Kontakt und Verbindung nicht nur bei existentieller Bedrohung. Bindung ist das zentrale Thema der Menschheit und das darf durchaus in der Gesellschaft mehr Fuß fassen. Vom Kindergarten, Eltern, Schulen, Ausbildung, Beziehung.

Was für Geschenke finden Klient*innen bei dir in der Paartherapie? Oder anders gefragt: Wie beschreiben Klient*innen ihre Erfahrungen?

Christine Weiß: Wir als EFTler versuchen, einen sicheren Rahmen zu schaffen, damit sich Paare die Geschenke von Offenheit, Verbundenheit und Verletzlichkeit selbst geben. Natürlich springen wir als Therapeut*innen übergangsweise ein, wenn es nötig ist, und Klient*innen können sich „abschauen“, wie sie mit schwierigen Situationen umgehen können.

Was ich öfters als Rückmeldung höre, ist dass Menschen sich mit meiner Empathie und Wärme wohl fühlen, aber auch meine Transparenz, Klarheit und Struktur schätzen. Gerade Struktur gibt Sicherheit und die braucht es bei der Arbeit mit Traumata. Ich habe tatsächlich auch als Hintergrund die Körpertraumatherapie Somatic Experiencing (nach Peter Levine), und bin selbst ein Bewegungs- und Körpermensch. Gefühle müssen wir im Körper spüren, sonst sind wir nicht im Hier und Jetzt.

Danke liebe Tine für das erkenntnisreiche, hilfreiche Interview!


Systemische Paartherapie und EFT-Paartherapie in München von Dr. Sharon Brehm. Praxis im Zentrum.

Ich bin Dr. Sharon Brehm und biete systemische Paartherapie und EFT-Paartherapie in München an. Meine Praxis für Einzel-und Paartherapie ist im Zentrum Münchens.

Auf meinem Blog findest du Wissenswertes über das Lieben: Von Interviews mit anderen Paartherapeut*innen, über Kolumnen über Emotionen, bis zu Tipps bei Beziehungsproblemen. Eben alles, rund um Beziehungen, Dating, Trennungen, Verlieben, Emotionen.

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Fotocredit: Altin Ferreira via unsplash