Du willst lernen, dich zu verlieben? Montly Recap aus der Paartherapie: Mai
Eigentlich steuern wir direkt auf den Zenit von 2020 zu, sind quasi mitten im Jahr. Zugleich fühlt es sich – zumindest für mich – mehr nach Neuanfang an. Die letzten Monate brachten viele Umstrukturierungen, Änderungen, Zeit zur Reflexion, Pausen für manche, Abbrüche für andere. Nun öffnet das öffentliche Leben schrittweise seine Tore und brachte auch den ein oder anderen Neuanfang. Tatsächlich ist Mai auch der Monat, in dem ich meine Praxistüre das erste Mal aufschloss, ein Monat, in dem ich mich neu verliebte. Nicht in einen Menschen, sondern in meine persönliche berufliche Vision.
Deswegen geht es in diesem montly Recap um die Frage, wie wir lernen uns zu verlieben. Was ist das Schöne, was das Herausfordernde, wenn wir uns frisch verlieben? Wie können wir Neuanfänge gut meistern und uns unserer Bindungsangst stellen? Und können wir uns auch nochmal in jemanden verlieben, mit dem wir schon seit Monaten, Jahren, Jahrzehnten zusammen sind?
Verlieben ist ein kreativer Prozess – drei Schritte zum Verlieben
Manchen fällt verlieben unglaublich leicht, während andere erst lernen zuzulassen verliebt zu sein und sich ihrer Bindungsangst zu stellen. Wenn du zur letzteren Gruppe gehörst, möchte ich dir zuerst den Druck nehmen. Wenn du jemals in deinem Leben kreativ warst, kannst du dich auch verlieben. Denn Verlieben ist aus meiner Erfahrung ein kreativer Prozess.
Kreativität fasse ich dabei weiter als zu schreiben, zu fotografieren, zu zeichnen, Musik zu machen, ein Instrument zu spielen. Kreativität kann auch das Ausprobieren neuer Strategien beim Sport sein, oder nach Gusto beim Kochen zu experimentieren oder eine wilde Idee wirklich umzusetzen. Kreativität ist der Wirklichkeit eine neue Idee zu schenken.
Schritt 1: Verlieben beginnt mit Euphorie
Wie fühlt es sich für dich an, wenn du eine neue Idee hast? Kribbelt es unter deinen Fingerspitzen, bist du euphorisch und voller Tatendrang? Scheint für dich alles möglich oder gehst du voller Leichtigkeit und Mut auch schon die ersten Schritte? Vielleicht wurdest du von der Muse auch in einem völlig unerwarteten, entspannten Moment geküsst? Sich zu verlieben, fühlt sich am Anfang genau so an.
Sich zu verlieben ist aufregend und schenkt uns das Gefühl, dass das Leben gut ist. Es sind Reisen, bei denen wir die gleiche, unsere bekannte Welt mit den Sinnen einer anderen Person erleben dürfen. Im Verlieben liegt das Potential echter Liebe. Außerdem sind wir wohl in keiner Zeit so empfänglich für Wunder und Magie wie am Anfang. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Es ist im wahrsten Sinne Honeymoon und alles ist möglich: Patchwork-Familie gründen, alte Gewohnheiten verändern, Distanzen überwinden (Wenn du dich gerade frisch verliebt hast, eine Fernbeziehung angefangen hast und ein paar Ideen brauchst, um mit deiner Sehnsucht umzugehen. Hier findest du ein kurzes YouTube-Video mit Tipps für Fernbeziehungen)
Schritt 2: Zweifel sind normal beim Verlieben
In einer Welt, in der alles perfekt scheinen muss, ist manchmal wenig Platz, um offen Ängste anzusprechen. Das gilt für kreative Schaffensprozesse genauso wie für das Verlieben. Natürlich hatte ich nach meiner ersten Euphorie und den ersten Schritten in der Selbstständigkeit Zweifel – so wie ich auch Zweifel nach jeder Seite meiner Doktorarbeit hatte. Bin ich gut genug? Hat meine Idee Substanz? Oder habe ich mich übernommen? Habe ich es verdient, erfolgreich zu sein? Braucht es meinen Beitrag wirklich? Ähnliche Gedanken kenne ich ehrlicherweise beim Verlieben.
Dabei ist mir natürlich bewusst, jeder Beginn bedeutet unweigerlich Unsicherheit, wacklige Beine, zittrige erste Schritte. Die ersten Schritte heißen auch mal hinzufallen, mit aufgeschlagenen Knien sich dem Chaos und der Schönheit des Lebens zu stellen. Wenn wir schon wüssten, was funktioniert (und was auch nicht), wäre es ja kein Neubeginn.
Wenn du Bindungsangst kennst?
Trotzdem scheinen Zweifel sich mit der Idee von der ungetrübten Anfangszeit zu beißen. Gerade weil kaum jemand über die eigenen Unsicherheiten und Ängste und Erwartungen spricht, hat so manch einer das Wort „Bindungsangst“ auf den Lippen. Dabei sind diese Zweifel und Ängste absolut normal, wir alle haben sie, nur die eigenen Unsicherheiten kommen einem eben seltsam und unbegründet vor.
Wer Bindungsangst hat, bleibt bei Schritt zwei stehen und rotiert dann zwischen diesen ersten zwei Phasen. So kann man sich brav im Kreis drehen. Doch es sind nicht unsere Zweifel das Problem. Wir brauchen Zweifel zur Reflexion, zum Überprüfen, zum Besser werden. Es ist was wir aus unseren Zweifeln machen. Wir selbst entscheiden, ob uns diese Zweifel blockieren oder ob sie uns dazu antreiben, unsere Comfort Zone zu erweitern. Wie ich selbst also konstruktiv mit diesen kritischen Gedanken in meinem Kopf konstruktiv?
Diese Fragen helfen bei Bindungsangst
Meine Zweifel zu ignorieren oder zu verdrängen, hat sich selten gelohnt. Sie kommen ja doch an der ein oder anderen Stelle ziemlich laut und deutlich um die Ecke. Schließlich bauen Zweifel auf Erfahrungen auf und Erfahrungen sind dafür da, um aus ihnen zu lernen. Die dazugehörigen Emotionen sind deshalb erstmal nur Warnpunkte.
Auch ich musste lernen, anstatt das Alte zur Seite zu schieben die eigenen Erfahrungen zu würdigen und konstruktiv zu nuten. Die folgenden Fragen können auch dir helfen, einen ehrlichen und gewinnbringenden Umgang mit der Vergangenheit zu finden:
Wenn Zweifel eher Vorsicht bedeuten: Auf was sollte ich achten, wo sollte ich aufpassen?
Was waren Warnsignale, die ich davor übersehen habe?
Bei welchen Qualitäten kann ich entspannen?
Wie kann ich Platz für Vertrauen Platz schaffen?
Welchen Beitrag kann ich dazu leisten, dass mein Gegenüber mir vertraut und sich wohl bei mir fühlt?
Wie kann ich eine Atmosphäre für Wachstum und Entwicklung kreieren?
Schritt 3: Verlieben ist wert-voll
Sich neu zu verlieben braucht nicht nur die Würdigung und Akzeptanz der eigenen Vergangenheit. Ideen und Liebe wollen real werden, sie wollen gelebt werden. Der dritte Schritt bedeutet schließlich ins Handeln zu kommen.
Viele würden sagen, dass ein kreativer Schaffensprozess an dieser Stelle Disziplin braucht. Es geht schließlich darum, einen Traum auch umzusetzen. Natürlich ist Willenskraft eine hilfreiche Qualität – aber wahrscheinlich sträuben sich mehr als einer Person die Nackenhaare, wenn sie Disziplin mit Beziehung verbinden. Deswegen spreche ich lieber von Werten. Im dritten und letzten Schritt geht es also darum, seinen Werten entsprechend zu handeln.
Wie Werte uns helfen, in die Umsetzung zu kommen
Für mich ist beispielsweise ein wichtiger Wert Klarheit. Ich genieße es, wenn ein Traum konkrete Formen annimmt. Wenn sich Strukturen abzeichnen, wenn glatte Oberflächlichkeit Textur bekommt, wenn aus Small Talk tiefe Gespräche werden, wenn sich Luftschlösser in ein starkes Fundament gießen. Ich empfinde es als kostbar, Dinge benennen zu können, wenn ich sie sprachlich, emotional, intellektuell, konzeptionell fassen kann. Klarheit als Wert hilft mir, diesen dritten Schritt zu gehen.
Ein weiterer wichtiger Wert für mich ist tatsächlich Liebe. Liebe hilft mir an dieser Stelle auch, Frieden mit mir und meinen früheren Entscheidungen zu schließen. Mein früheres Ich hat auf Basis aller Informationen zu diesem Zeitpunkt so gut es ging entschieden hatte. Meine Abzweigungen, Umwege und Verwirrungen waren Teil meiner Reise und sind wertvoll. (Wenn du auch einen Prep-Talk brauchst: Here you go)
Vielleicht heißt der Wert, der dich zum Handeln bringt, Disziplin oder Stärke oder Freiheit (von Angst) oder Mut oder Selbstbestimmung oder Integrität oder Offenheit. Nutze deine Werte als Kompass, der deine eigene Handlungen in eine positive Richtung lenkt.
Frischer Wind in einer langjährigen Beziehung?
Wenn du in einer langjährigen Beziehung bist, verspürst du jetzt vielleicht den Wunsch ein frisches, neues Blatt herauszuholen. Wäre es nicht leichter, wenn alles noch neu und unbeschmutzt und unschuldig ist? Ich kann verstehen, dass es Mut braucht, um über etwas zu malen und zu pinseln. Denn vielleicht verändert sich damit die Gesamtkomposition – und wer kann schon wissen, ob das Ergebnis besser gefällt?
Ich möchte dich ermutigen, wieder neue Ziele zu kreieren und vor allem darauf zu vertrauen, dass du deine Welt gestalten kannst. Die Schritte, wie du dich in eine andere Person verlieben kannst, sind den Schritten, wie du dich in eine Person von Neuem verlieben kannst, ziemlich ähnlich. Doch der größte Unterschied ist wohl, dass du die Vision und euren Traum selbst kreiert werden musst.
Neu verlieben in einer langjährigen Beziehung beginnt mit Träumen
Im ersten Schritt geht es genauso darum zuerst eine neue Vision zu kreieren, eine neue Idee zuzulassen und auf Veränderung mit Euphorie zu reagieren. Vielleicht musst du dieses Neue selbst bewusst kreieren, vielleicht reicht es auch, es einfach zuzulassen und offen zu sein.
Für manche kann dies der Wunsch sein, dass der Partner neue gemeinsame Aktivitäten vorschlägt (Ideen, wie du das umsetzen kannst, findest du in diesem Video). Vielleicht möchtest du dich selbst begehrt und sexy fühlen? Vielleicht willst du dich von Eifersucht lösen? (und hier noch ein paar Beziehungstipps ) Vielleicht geht es um Erotik oder neue gemeinsame Lebenspläne? Du selbst kannst jederzeit und selbstbestimmt immer wieder in einen schöpferischen, kreativen Prozess gehen. Werde dir bewusst, dass wir alles jederzeit gestalten und beeinflussen.
Wahrscheinlich hast du bereits die Erfahrung gemacht, dass deine Mitmenschen gelassener und freundlicher sind, wenn wir selbst freundlicher durch die Welt gehen. Oder dass wenn wir voller Tatendrang sind, unsere Mitmenschen sich gerne mitziehen lassen. Wir sind … Austausch. Nur weil etwas sehr lange auf eine gewisse Weise lief, heißt es nicht, dass es immer so weiter gehen muss. Im Gegenteil – wenn wir einer Sache keine Aufmerksamkeit mehr geben,
Fragen für den Neuanfang?
Was kann und darf ich ändern?
In welchen Bereichen unserer Beziehung darf frischer Wind wehen?
Wo genieße ich das, was schon ist?
Welche Teile von mir möchte ich integrieren, zeigen, erleben, erfahren? Wie kann ich mich selbst darin bestärken?
Was könnte mein Herzensmensch dafür tun und wie kann ich ihm umgekehrt etwas Gutes tun? Was braucht es, damit meine Umwelt die Veränderung wohlwollend und neugierig begrüßt?
Welche Pflänzchen unserer Beziehung will ich pflegen – und wo lege ich neue Wege an, pflanze neue Rituale, Gedanken und Handlungen?
Hier die Fragen nochmal zum merken, teilen oder ausdrucken:
Auf meinem Blog findest du Wissenswertes über das Lieben: Von Interviews mit anderen Paartherapeut*innen, über Kolumnen über Emotionen, bis zu Tipps bei Beziehungsproblemen. Eben alles, rund um Beziehungen, Dating, Trennungen, Verlieben, Emotionen.
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Ich bin Dr. Sharon Brehm und biete systemische Paartherapie und EFT-Paartherapie in München an. Meine Praxis für Einzel-und Paartherapie ist im Zentrum Münchens.
Fotocredit Titelbild: Hian Oliviera via unsplash