„Erfahrung Paartherapie“: Alexandra Hartmann über das innere Kind in Beziehungen
Alexandra Hartmann bietet Paartherapie in München an. Inzwischen hat sie ihr Wissen aus der Paar- und Sexualtherapie in zwei Büchern festgehalten. In „Gut beenden, erfolgreich suchen, neu lieben“ schreibt sie über Trennungsschmerz, Verlieben und alles, was dazwischen liegt. In ihrem zweiten Buch „Meine Bedürfnisse, Deine Bedürfnisse“ geht es darum, wie wir Bedürfnisse in Beziehungen mithilfe des Konzept des inneren Kindes aufgreifen können. Im Interview erzählt Alexandra Hartmann nun, welche Bedeutung unsere inneren Kinder für unsere Beziehungen haben, wie wir mit Bedürfnissen umgehen und welche Dynamiken nach einer Affäre entstehen können.
Hallo Alexandra, du arbeitest viel mit dem Konzept des inneren Kindes in der Paartherapie. Wie können wir das innere Kind verstehen?
Alexandra Hartmann: Das innere Kind ist zunächst unser Ursprung, denn das war schon da, als wir selbst Kind waren. Das innere Kind ist unser instinktives, emotionales Sein, in dem auch unsere Bedürfnisse verankert sind. Unser erwachsener Anteil hat sich erst im Laufe der Pubertät um dieses Kind herumentwickelt. Die Erwachsene-Instanz ist unser rationales Sein. Erwachsen zu sein bedeutet für mich, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen.
Welche Rolle spielt unser inneres Kind in unseren Beziehungen?
Alexandra Hartmann: Oftmals geben wir in Beziehungen instinktiv die Verantwortung für uns an unseren Partner ab. Diese emotionale Verstrickung entsteht daraus, dass die meisten von uns in ihrem Geworden-Sein nicht satt geworden sind: Wir haben zu wenig Aufmerksamkeit bekommen oder wurden etwa vernachlässigt. Wenn wir später im Leben eine sehr enge emotionale Beziehung mit einem anderen Menschen eingehen, projizieren wir diesen alten Mangel unbewusst auf den anderen und haben dann die Hoffnung, dass der andere die alten Verletzungen heilen kann.
Warum ist das Äußern von Bedürfnissen so wichtig für eine Beziehung?
Alexandra Hartmann: Für mich ist das die Definition von Intimität. Der Grad an Intimität misst sich daran, wie viel ich Preis gebe und wie viel ich von den inneren Vorgängen des anderen weiß. Zur Intimität in Beziehungen gehört also einerseits Interesse, aber auch sich in seinen Bedürfnissen zu zeigen.
Warum haben manche kein Interesse an den Bedürfnissen ihrer Partnerin oder ihres Partners, wenn das doch zu einer intimen Beziehung dazu gehört?
Alexandra Hartmann: Manche Menschen haben Angst vor den Bedürfnissen des anderen, weil sie sich dazu verpflichtet fühlen, sie zu erfüllen, sobald sie sie kennen. Das ist schade. Denn wenn ich Angst vor den Bedürfnissen des anderen habe und weniger nachfrage, verliert die Beziehung an Intimität. Das heißt, ich muss mich erst aus dieser Rolle entlassen und kann dann mit Interesse und Offenheit auf die Bedürfnisse des anderen zugehen.
Wenn wir eh für uns selbst verantwortlich sind, wie kann uns dann eine Paartherapie unterstützen?
Alexandra Hartmann: Oft wird erst in einer Paartherapie deutlich, dass Paare die Verantwortung abgegeben haben. Dann höre ich Sätze wie „Ach du meine Güte, das haben wir gemacht. Klar, ich hab dir die Verantwortung dafür gegeben, mir die Anerkennung zu geben, die ich mir vielleicht selbst nicht geben kann und die mir selbst gefehlt hat.“ Durch diesen Aha-Moment verstehen viele, welche Dynamik in ihrer Beziehung herrscht, und können dann an dieser Dynamik auch etwas verändern.
Gibt es auch Bedürfnisse, die wir in einer Beziehung voraussetzen können?
Alexandra Hartmann: Ich denke, dass wir in Beziehungen nichts voraussetzen können und sollten. Dafür haben wir schließlich das Kommunikationsorgan Sprache. Nehmen wir einen Klassiker. Die Frau sagt: „Ich würde mich freuen, wenn du mir ab und zu Blumen mitbringst.“ Das ist jetzt ein klares Äußern eines Bedürfnis. Die Frau könnte sich auch denken, eigentlich weiß mein Mann, dass ich mich über Blumen freue und sich ärgern, wenn er keine mitbringt. Aber er hat es vielleicht vergessen oder Blumen stehen bei seinen Prioritäten nicht an erster Stelle. Sie lebt in diesem Augenblick den Traum vom Prinzen auf dem weißen Pferd, der all unsere Bedürfnisse kennt und uns jeden Wunsch von den Lippen abliest. Wir wachsen eben alle mit Märchen auf und vergessen, erwachsen zu werden. Nichtsdestotrotz ist es für alle leichter, wenn die Frau einfach sagt, was sie möchte und braucht. Für mich gehört das auch zur Selbst-Fürsorge. Wann immer ich etwas voraussetze, gehe ich davon aus, dass der andere für mich sorgt und gebe die Verantwortung ab.
Was rätst du Paaren, die jetzt merken, dass sie die Verantwortung für ihr inneres Kind abgegeben haben?
Alexandra Hartmann: Eine Idee sind Meetings. In diesen Meetings sprechen die Erwachsenen über ihre Bedürfnisse, anstatt den Partner mit ihnen zu konfrontieren. Ich bin also in der Ich-Botschaft und nicht in der vorwurfsvollen Du-Botschaft. Anstatt dir vorzuwerfen: „Nie bringst du den Müll raus.“, sage ich „Lass uns nochmal gemeinsam darüber sprechen, wie wir das mit dem Müll machen.“ Ich sag dem anderen auch nicht, was er tun sollt. Das kann der andere besser annehmen als einen Vorwurf oder einen Handlungshinweis. In einem Meeting sitzen wir Erwachsenen zusammen und überlegen wie wir entsprechend unserer Bedürfnisse, unsere Beziehung, gestalten.
Warum sind Meetings so hilfreich für eine Beziehung?
Alexandra Hartmann: Ich vergleiche eine Beziehung gerne mit einer kleinen Organisation und keine andere Organisation würde ohne Meeting auskommen. Eine Beziehung will bewusst kreiert und gestaltet werden. Ohne diese Klarheit und Offenheit laufen Emotionen an der berühmten Zahnpastatube über und es kollidieren Vorstellungen. Bei den Meeting kann ich gut für mich, meine Gefühle und Bedürfnisse sorgen und dann beruhigt sich mein inneres Kind auch.
Zahnpastatube und Blumen – das sind eher Kleinigkeiten. Inwiefern spielt das Thema Verantwortung auch bei größeren Beziehungsproblemen eine Rolle spielt?
Alexandra Hartmann: Ein Klassiker hierbei sind Affären. Wenn es darum geht, wieder gut aus der Krise zu kommen, müssen wir ebenfalls Verantwortung für uns übernehmen. Bei einer Affäre ist einer oft das Opfer und der andere der Täter. Wenn das so bleibt, kann sich die Beziehung nicht entwickeln. Auch ohne den Betrug gut heißen zu müssen, müssen beide reflektieren, was zur Affäre geführt hat und inwiefern beide daran beteiligt waren.
Wenn ich es als Opfer schaffe mich selbst anzuschauen, schaffe ich es erstens aus der Opferrolle, zweitens kann ich wachsen und drittens kann auch mein Vertrauen wachsen, damit es nicht wieder passiert. Das hat ein enormes Entwicklungspotential für eine Beziehung. Wenn ein Paar eine Beziehungskrise auf diese Art und Weise verarbeiten kann, haut es so schnell nichts mehr um.
Das klingt so, als wären Menschen gerne Opfer?
Alexandra Hartmann: Es gibt viele Opfer, die ihre Opferrolle nicht aufgeben wollen, weil das auch eine ganz bequeme Situation ist. Man nennt das die „Macht des Opfers“. Solange ich Opfer bin und sagen kann, du hast mir so etwas Schlimmes angetan, kann ich zum Beispiel bestimmen, in welchen Urlaub wir fahren. Der andere fühlt sich dementsprechend als Täter und tut alles für mich.
Wie können Menschen Verantwortung für sich übernehmen und sich um ihr inneres Kind kümmern?
Alexandra Hartmann: Du kannst dir die Beziehung zu deinem inneren Kind genauso vorstellen und gestalten wie zu einem echten Kind. Ablehnung ist keine gute Idee, deswegen ist auch Selbst-Ablehnung keine gute Idee. Das Trauma oder die seelische Verletzung sind Teile meiner Biografie, aber ich kann lernen damit umzugehen. Es geht darum, uns selbst mit diesem Defizit zu akzeptieren und gleichzeitig lernen für uns zu sorgen. Auch Interesse am inneren Kind und es erst einmal so anzunehmen wie es ist, gehört dazu. Darauf kann ich eine gute Selbstführung aufbauen.
Studien haben inzwischen mehrfach belegt, dass die Beziehung zur Therapeutin den Erfolg einer Paartherapie maßgeblich beeinflusst. Was erwartet Paare in einer Paartherapie mit dir?
Alexandra Hartmann: Mein Stil ist ein möglichst distanzierter Stil. Ich sehe mich als Dienstleisterin und bleibe wertneutral und wertoffen. Ich bin auch der Meinung, dass nicht der Therapeut sagen sollte, was das Paar für ein Problem hat. In einer Paartherapie nehmen wir die Dynamik der Beziehung in den Blick. Ich vergleiche Paartherapie auch gerne mit dem Wetter. Zwei Luftschichten treffen aufeinander und manchmal knallt es und es kommt zu einem Gewitter. In der Paartherapie analysieren wir, was trifft aufeinander und wo kommt diese Energie her. Wenn man die Dynamik verstanden hat und sie auf irgendeine Weise dysfunktional ist, kann eine Paartherapie unterstützen, Lösungen zu finden.
Was kann auf Paare in einer Paartherapie warten?
Alexandra Hartmann: In einer Paartherapie geht es schließlich um gemeinsames und persönliches Wachstum. Es geht um positive Veränderung und darum, dass das Problem sich löst. Wobei das nicht zwangsläufig bedeutet, immer zusammen zu bleiben. Auch eine Trennung kann ich manchen Fällen die bessere Lösung für das Paar sein. Es kann sein, dass mein persönliches Wachstum in eine andere Richtung geht als das meines Partners. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man für Beziehungen sehr viel tun kann und muss – auch in der Gestaltung und im Miteinander. Wir können unsere Beziehung von Innen beeinflussen. Aber unsere Beziehung wird auch von äußeren Umständen beeinflusst, und die kann ich eben nicht immer verändern.
Vielen lieben Dank, Alexandra!
Auf meinem Blog findest du Wissenswertes über das Lieben: Von Interviews mit anderen Paartherapeut*innen, über Kolumnen über Emotionen, bis zu Tipps bei Beziehungsproblemen. Eben alles, rund um Beziehungen, Dating, Trennungen, Verlieben, Emotionen.
Wenn du mich noch mehr kennenlernen willst, vernetze dich doch mit mir auf Instagram!
Wenn du lieber der Video-Typ bist oder zwischendurch ein wenig Inspiration suchst: Ich habe auch ein paar YouTube-Videos auf meinem Kanal. Abonniere ihn doch!
Ich bin Dr. Sharon Brehm und ich bin davon überzeugt, dass Lieben leicht ist. Wenn du dieses Gefühl von Leichtigkeit in der Liebe und in deinen Beziehungen wieder erleben willst: Ich biete systemische Paartherapie und EFT-Paartherapie in München an.
Titelbild: Brooke Cagle via unsplash