Vorwürfe und Mikroaggressionen: Warum die Diagnose „Narzisst“ nicht hilft und wie du eine Beziehung rettest

Hattest du schon einmal das Gefühl, dass das, was der oder die Andere sagt, oberflächlich neutral oder sogar positiv scheint – und trotzdem ist in diesen Worten eine Spitze versteckt? Hast du schon einmal den Gedanken gehabt, dass dein Herzensmensch ein Narzisst ist? Hat sich jemand von dir schon einmal emotional von dir zurückgezogen, ist stiller geworden oder teilt nicht mehr so viel von sich? All diese Momente deuten darauf hin, dass Mikroaggressionen ein Thema in deiner Beziehung sind.

Narzissmus und toxische Beziehungen - diese Labels schwächen deine Beziehung

Narzisst und toxische Beziehung? Diese Labels zerstören eine Beziehung. Deswegen spreche ich als Expertin für Paartherapie von Mikroaggressionen. Mehr Wissen, Sprüche und ZItate auf lovemoves.de

Dieser Artikel möchte niemandem die Schuld zuweisen oder jemanden als „krank“ darstellen. Ich möchte vielmehr eine andere Perspektive vorschlagen. Denn die Worte „toxische Beziehung“ und „Narzisst*in“ scheinen momentan mehr als en vogue zu sein. Narzissmus ist zunächst eine klinische Diagnose für eine Persönlichkeitsstörung. Doch „Narzisst*in“ wird inzwischen immer häufiger zu einem Label im Alltag. Diagnosen können helfen, das Geschehene zu verstehen und einzuordnen.

Doch zugleich hindern sie uns daran, wieder einen ehrlichen und offenen Dialog zu starten und sie sind genauso verletzend. Wenn ich jemandem vorwerfe, er sei ein Narzisst, dann wird die Situation dadurch selten besser. Die Person fühlt sich in ihrem Sein oder ihre Persönlichkeit angegriffen. Ein Charakter lässt sich nur schwer verändern – Verhalten allerdings schon und deswegen spreche ich in der Paartherapie von Mikroaggressionen.

Was sind Mikroaggressionen?

Was sind nun Mikroaggressionen? Woher weiß ich, dass ich unabsichtlich aggressiv bin? Diese Liste schafft Klarheit.

  • Machst du dich über Verhalten lustig, von dem du weißt, dass sich die/der Andere dafür schämt?

  • Ignorierst du, wenn er/sie sich bemüht, etwas besser zu machen?

  • Hältst du Ausdrücke von Zuneigung zurück, wie ein Lächeln, Komplimente, eine Umarmung oder Trost?

  • Überschreitest du Grenzen der anderen Person oder vergisst auf Dinge einzugehen, um die dich die andere Person gebeten hat?

  • Steckst du die andere Person aufgrund ihrer Herkunft/ihres Geschlechts/etc. in eine Schublade? Hier findest du Beispiele sexistischer Mikroaggressionen in einer Beziehung.

  • Gehst du mit dem/der anderen herablassend um und redest z.B. schlecht mit oder über die Person? Dazu gehören Beleidigungen, Zurechtweisungen, verbale Abwertungen oder auch ständige Kritik.

  • Hast du die Vertraulichkeit zwischen euch verletzt? Hast du Geheimnisse einer dritten Person weitererzählt?

  • Lässt du die Meinung, die Gefühle oder Wahrnehmung einer anderen Person nicht gelten und sprichst sie der Person ab?

Vielleicht findest du dich in einem oder mehr dieser Punkte wieder? Dann bitte ich dich darum, zunächst offen zu bleiben. Vielleicht erkennst du auch deinen Herzensmenschen darin? Wenn ja, dann hole bitte nicht sofort den erhobenen Zeigefinger raus! Es geht nicht darum, einen Machtkampf zu gewinnen oder es nun der Person „heimzuzahlen“. Das Ziel ist Verständnis zu schaffen – denn das brauchen wir für glückliche, harmonische Beziehungen.

Warum kommt es zu Mikroaggressionen in Beziehungen?

Warum sprechen alle von Narzissmus und toxischer Beziehung - und warum sind sie in Beziehungen viel häufiger ein Problem? Die so typischen Mikroaggressionen von Narzissten treffen aus einer anderen Distanz. Mehr Wissen, Sprüche und ZItate auf lovemo…

Die Dynamik von Mikroaggressionen ist in Beziehungen anders als etwa im beruflichen Kontext. Denn in Beziehungen machen wir uns viel verletzlicher. Wir schenken einer anderen Person unser Herz und möchten, dass sie uns liebt und anerkennt.
Zugleich sieht die andere Person all unsere Fehler, Unzulänglichkeiten, Ängste, Traumata und schlechten Angewohnheiten aus nächster Entfernung. Mikroaggressionen in Beziehungen sind also mit einem anderen Level an Intimität verbunden. Kritik trifft aus sehr kurzer Distanz und damit automatisch härter.
Dazu kommt, dass wir im Job oder in der Arbeit anders mit Kritik und negativen Gefühlen umgehen können. Wenn uns jemand nervt oder ungerechtfertigt kritisiert, können wir am Ende des Tages einfach nach Hause gehen. Wir können die Aussage ignorieren und uns kann ihre Meinung egal sein. Das geht in einer Beziehung aber nicht.

Auch ist in der Arbeit die Beziehungsebene nicht das Wichtigste und wir können uns immer wieder auf unsere Professionalität zurückbesinnen. Beziehungen leben aber von – surprise – der Beziehungsebene. Mikroaggressionen verletzen die Verbindung zwischen zwei Personen und damit leidet das Fundament eurer Beziehung. Zuletzt haben wir an unsere Herzensmenschen andere Erwartungen als von unseren Kolleg*innen. Und das kann zum einen, Kritik befeuern und zum anderen uns verletzlicher machen.

„Du bist einfach zu sensibel“

“Zu sensibel” - das ist eine typische Mikroaggression und kann zu einem Trennungsgrund werden. Mehr Wissen, Sprüche und ZItate auf lovemoves.de

Vielleicht ziehst du die andere Person gerne auf, weil du Spaß daran hast? Oder du empfindest es als dein gutes Recht, kritisch zu sein? Oder du denkst dir, es sind ja „nur“ Worte und keine Schläge, also ist die andere Person zu empfindlich? Vielleicht ist dir bisher nicht bewusst gewesen, dass deine Worte anstößig oder verletzend waren? Vielleicht stört es dein Gegenüber auch nicht?

All das kann auf deine individuelle Situation zutreffen. Wenn du aber ignorierst, dass du die andere Person (unabsichtlich) verletzt hast und ihr sagst, sie sei zu sensibel, hat dies negative Effekte für eure Beziehung.

Welchen Effekt haben Mikroaggressionen auf eine Beziehung?

Woran erkennst du Mikroaggressionen in deiner Beziehung? Hier sind 6 Anzeichen für Mikroaggressionen. Eine Paartherapie kann helfen, diese anzusprechen.

Mikroaggressionen – das sagt schon der Name – sind manchmal klein und perfide. Sie zeichnen sich sogar dadurch aus, dass sie oftmals unbemerkt und unabsichtlich passieren. So wie bei psychischen Krankheiten sehen wir keine blauen Flecken oder ausgeschlagenen Zähne. Woran erkennen wir also, dass Mikroaggressionen eine Beziehung belasten?

Die so typischen Spitzen von Mikroaggressionen führen oftmals dazu, dass sich der getroffene Partner emotional zurückzieht und distanziert. Deswegen nennt Chester M. Pierce Mikroaggressionen auch „Tod durch tausend kleine Schnitte“. Der Psychiater schrieb 1970 zum ersten Mal über das Phänomen Mikroaggressionen. Dass Mikroaggressionen eure Beziehung torpedieren, merkst du daran, dass die andere Person außerdem weniger spricht und nichts mehr aus ihrem Leben teilt. Manche Paare haben auch keinen Sex mehr, weil sich eine Person nicht mehr fallen lassen kann. Manchmal arbeitet sie viel länger und nimmt sich keine Zeit mehr für die Beziehung. Manchmal sind auch Affären das Resultat von Mikroaggressionen. Manchmal auch eine Trennung oder Scheidung. All das macht die andere Person, um sich zu schützen. Das sind nur die Auswirkungen auf die Beziehung. Klinische Studien haben bereits gezeigt, dass Mikroaggressionen ähnlich negative Effekte wie Traumata auf die Gesundheit haben.

Wie können wir mit Mikroaggressionen umgehen?

Narzisstische Männer? Wie kann euch das Begriff von Mikroaggressionen zu mehr Verständnis helfen? Mehr Wissen, Sprüche und ZItate auf lovemoves.de

Die meisten Personen, die zu mir in die Paartherapie kommen, wollen ihren Herzensmenschen eigentlich nicht weh tun. Im Gegenteil, sie wollen das Beste für die andere Person. Manchmal fällt es ihnen aber trotzdem schwer, darauf einzugehen und sie reagieren defensiv auf Angst und Trauer. Nicht nur, weil Veränderungen immer Energie brauchen. Sondern auch weil sie sich dafür schämen. Und Scham kann uns manchmal blockieren. Scham ist oft der Grund, warum wir unseren Anteil runterreden oder die Schuld beim Anderen suchen.

Mein Hebel in der Paartherapie sind nicht die Verletzungen. Verletzungen kommen in der besten Beziehung vor. Verletzungen können unabsichtlich passieren. Verletzungen können auf größere Themen hinweisen, die es gemeinsam zu bearbeiten gilt. Dass du jemanden verletzt hast, macht dich nicht zu einem schlechten Menschen – und es muss eine Beziehung auch nicht zerstören. Wichtig ist, dass du ab jetzt Verantwortung für dein Handeln übernimmst.  

Denn nur indem du Verantwortungen für deine Worte, Taten und Integrität übernimmst, kann Vertrauen zurückkommen. Sicherheit in der Liebe entsteht nicht dadurch, dass wir „perfekt“ sind – sondern, dass wir uns über unsere dunklen Seiten bewusst sind.

Wie kann ich Verantwortung übernehmen?

Du möchtest dir diesen Artikel über Mikroaggressionen & “toxische Beziehungen” speichern oder an Freund*innen weiterleiten? Ich würde mich total freuen!

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  • Lasse den Schmerz der anderen Person existieren. Kontraproduktiv sind Aussagen wie „Du bist zu sensibel.“; „Du reagierst über“, etc.

  • Bitte stattdessen um weitere Erklärungen. Zum Beispiel indem du neutral und neugierig nachfragst: „Kannst du mir noch mehr erzählen, warum dir dieser Witz/dieses Wort/… wehtut?“ „Was hat dich genau verletzt?“

  • Übe Mitgefühl mit dir selbst. Du hättest anders reagiert, wenn du dieses Wissen schon gehabt hättest. Schuldzuweisungen lösen das Problem nicht. Du löst es nur indem du versuchst es anders zu machen.

  • Bespreche konkrete alternative Handlungsweisen. Denn natürlich darfst du deinen Humor behalten, natürlich darfst du auch Ansprüche stellen. Die Frage ist eher: Auf welche Weise kannst du dies machen und wertschätzend bleiben?

Was kann ich tun, wenn ich unter Mikroaggressionen leide?

  • Nehme das Verhalten, das dich verletzt bewusst wahr, ohne die Person zu verurteilen.

  • Erkläre ruhig, welche Message bei dir ankommt.

  • Trenne Absicht und Effekt, wenn du von dir sprichst. Zum Beispiel folgendermaßen: "Ich weiß, dass es dir nicht bewusst war, aber [konkreter Kommentar/Verhalten] war verletzend / beleidigend, weil [Ich-Botschaft]. Was können wir dies in Zukunft anders machen?“

  • Habe Mitgefühl und Verständnis und sage zum Beispiel so etwas wie: „Ich habe bemerkt, dass du … [Kommentar/Verhalten]. Das habe ich früher auch gemacht/gesagt, aber dann habe ich … gelernt."

  • Setze klare Grenzen. Grenzen zu setzen ist gesund und dient der langfristigen Stabilität eurer Beziehung.

  • Finde „Verbündete“ außerhalb der Beziehung. Sich mit anderen auszutauschen über Verletzungen und Lösungsmöglichkeiten, kann dir das Gefühl nehmen hilflos zu sein. Natürlich kann auch eine Paartherapie helfen.


Systemische Paartherapie und EFT-Paartherapie in München von Dr. Sharon Brehm. Praxis im Zentrum.

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Ich bin Dr. Sharon Brehm und biete systemische Paartherapie und EFT-Paartherapie in München an. Bei Fragen, schreibt mir gerne!

Fotocredit: Adrian Swancar via unsplash