"Erfahrung Paartherapie": Wie wirkt Depression auf unsere Beziehung? Paartherapeutin Yolanda von Hockauf im Interview
Depressionen gehören heute zu den häufigsten Problemen der psychischen Gesundheit. Depressionen beeinträchtigen nicht nur unser persönliches Wohlbefinden, sondern wirken sich auch auf unsere Beziehungen aus. Manchmal streiten wir etwa mit unsere Partner*innen wegen der sich entwickelnden Traurigkeit, Hilflosigkeit und dem Verlust von Stabilität. Wie können wir uns in Zeiten von Depression gegenseitig helfen und unterstützen, und was hat Depression mit Bindung und Verbindung zu tun?
In diesem Interview gibt Yolanda von Hockauf, zertifizierte Trainerin für Emotional Focused Therapy (EFT), Antworten auf Fragen rund um Depression und Beziehungen. Yolanda arbeitet seit 1983 mit diesem Modell - als eine der Therapeutinnen in Sue Johnsons erster EFT-Studie. Sue Johnson ist Gründerin der Emotionsfokussierten Paartherapie. Yolanda ist auch Gründungsdirektorin des Vancouver Couple & Family Institute (VCFI), das sich in der therapeutischen Gemeinschaft unter Ärzten, anderen Therapeuten und der breiten Öffentlichkeit einen hervorragenden Ruf für Therapie, Supervision und Ausbildung in EFT erworben hat.
Wenn du oder dein Herzensmensch depressiv sind, findet ihr in diesem Interview aufschlussreiche Perspektiven und Wissen rund um diese psychische Krankheit. Wenn du Therapeut*in bist, habe ich zwei Empfehlungen für dich. Sehe dir zunächst das vollständige Interview an. Yolanda erzählt von ihren Lieblingsinterventionen und gibt wichtige Einblicke in die Arbeit mit Depressionen in der Paartherapie. Zweitens wird sie in ihren Online-Workshops über den "EFT-Tango" vom 11. bis 12. September 2020 und über die Emotional Focused Individual Therapy (EFIT) an vier Freitagen, beginnend am 18. September 2020, mehr ins Detail gehen. Yolanda ist seit 20 Jahren Trainerin und hat Workshops in so vielen Ländern abgehalten (um nur einige europäische Länder zu nennen): Finnland, Niederlande, Kroatien, Bulgarien, Italien und Belgien) Ich persönlich kann es kaum erwarten, von dieser warmherzigen, intelligenten und erfahrenen Therapeutin zu lernen.
Hallo Yolanda, da Corona und die Quarantäne immer noch so präsent sind: Was würdest du deinem jüngeren Ich sagen, das direkt vor Corona gelebt hat?
Yolanda von Hockauf: Ich würde diesem jüngeren Ich auf jeden Fall sagen, dass es sich selbst mehr Zeit geben soll, dass es langsamer gehen soll, dass es sich um sich selbst kümmern soll und dass es seinen Lebensstil ein wenig zu überdenken darf: weniger zu reisen, meinen Tag vielleicht etwas später zu beginnen und etwas für mich selbst zu tun. Was ist der Sinn von Eile? Es gibt wichtigere Dinge, als die ganze Zeit unterwegs zu sein. Meine wichtigsten Verbindungen sind genau hier, wo ich bin.
Entschleunigung ist auch ein wichtiger Teil der Emotionsfokussierten Therapie. Warum ist sie so hilfreich?
Yolanda von Hockauf: Entschleunigung ist wichtig, weil wir Dinge - auch über uns selbst - nicht wahrnehmen können, wenn wir uns beeilen. Unser Gehirn springt einfach so schnell in unsere Handlungen hinein. Es zu verlangsamen ist also eine so schöne Art und Weise, unseren eigenen Prozess zu verfolgen und uns dessen bewusst zu sein. Und wie können wir etwas ändern, dessen wir uns nicht bewusst sind?
Entschleunigung ist kein individueller Prozess. Wir sind soziale Wesen. Vom Augenblick unserer Geburt an werden wir von anderen geprägt und mitreguliert, und wir lernen über diesen Austausch viel über unseren Wert und darüber, wer wir sein dürfen oder wer nicht. Für mich geht es bei Entschleunigung um Sicherheit mit uns selbst und mit anderen. Entschleunigung erlaubt es mir, auf meine Signale im Inneren zu hören, sie zu teilen und mich mit anderen zu verbinden. Ich denke immer an das Innere und das Zwischenmenschliche.
Unsere Bindungen geben uns Mut. Wir brauchen Mut, um an diese dunklen, unheimlichen Orte zu gehen, diese unbekannten Orte. Sue hat ein schönes Wort dafür: Beängstigende, fremde, inakzeptable Emotionen. Wir können nicht allein dorthin gehen, wir brauchen eine*n Therapeut*in oder eine andere Bezugsperson, die uns erdet, die bei uns bleibt und uns hilft, uns diesen Dingen zu stellen. Denn allein können wir es nicht.
Du hast etwas über Bindungen (Attachment) gesagt, und es könnte Leser*innen geben, die nicht wissen, was du damit meinst. Wie beschreibst du Bindung?
Yolanda von Hockauf: Ich habe Klient*innen, die mich nach Lesestoff fragen, und natürlich gebe ich ihnen Material. Aber in meinem Inneren lächle ich, weil Bindung nichts ist, über das man einfach nur lesen kann. Man muss sie erleben. Wir müssen die Herzen der Menschen berühren, nicht nur ihre Köpfe.
Wir helfen unseren Klient*innen, Bindung zu verstehen, indem wir ihnen ein Gefühl dafür vermitteln, was Bindung ist. Wir als Therapeutinnen und Therapeuten sind das Andere, das ihnen Raum gibt, damit sie Zugang zu dem bekommen, was sie sind. Aber wir tun nicht nur das. Wir helfen ihnen auch, aus dem, was sie erleben, herauszuzoomen und dem Erlebten Sinn zu geben. Wir helfen ihnen, sich sicher zu fühlen, so zu sein, wie sie sind.
Sue Johnson hat ihr Modell der Emotionsfokussierten Therapie (EFT) entwickelt, indem sie verfolgt und nachvollzieht, was mit Paaren geschieht, wenn sie Veränderungen vornehmen. 1982/83 war das Handbuch gerade einmal 20 Seiten lang, und heute gibt es so viele weitere Bücher und Studien. Bei EFT geht es um das tiefe existentielle Bedürfnis, mit dieser Welt verbunden und sicher zu sein. Denn als Säugetiere können wir das nicht allein tun.
Wenn Menschen an EFT denken, welche Worte sollten ihnen in den Sinn kommen?
Yolanda von Hockauf: Die Emotionsfokussierte Therapie ist zutiefst humanistisch, ökonomisch – also im Sinne Sues effizient – und sie bringt uns dorthin, wo wir hin müssen, sie bewegt sehr viel. Und sie pathologisiert nicht.
Du hast bereits negative Emotionen erwähnt, und deshalb wäre es interessant, über Depressionen zu sprechen. Wie sehen EFT und EFIT (Emotionally Focused Individual Therapy) Depressionen?
Yolanda von Hockauf: Depressionen sind bei unseren Einzelklienten, Paaren und Familien ein präsentes Thema. Depressionen und Angstzustände sind bei psychischen Störungen nahezu universell und treten oft gemeinsam auf und können dementsprechend auch gemeinsam behandelt werden. Depressionen sind meines Erachtens das Markenzeichen für psychische Gesundheitsprobleme. Wenn ich Depressionen durch die Linse der Bindungstheorie betrachte, wird mir klar, wie wir sie heilen können.
Bei Depressionen geht es um Verlust: Verlust von Sicherheit, Verlust von Würde, Verlust von Wert, Verlust von Liebe, Verlust von Fürsorge, Verlust von Bindung. Klienten fühlen sich ungeliebt und hilflos. Ihr Gefühl der Handlungsfähigkeit und das Vertrauen, dass sie nach dem, was sie in der Welt brauchen, greifen können und es bekommen, ist ihnen genommen worden. So geraten sie in eine Teufelskreis der erlernten Hilflosigkeit. Vielleicht fühlen sie sich wertlos und es wird für sie zu schwierig, ihre Bedürfnisse zu erreichen, um sie zu erfüllen - wenn nicht gar unmöglich. Sie haben gelernt, sich selbst als unliebenswert und andere als nachlässig, verletzend oder gefährlich zu betrachten. Und wenn sie sich unwürdig und hilflos fühlen, ist es so schwer, aus diesem Teufelskreis herauszukommen. Und das führt zu noch mehr Depression und Isolation.
Menschen, die mit Depressionen zu kämpfen haben, schämen sich oft sehr. Sie schämen sich, vielleicht, weil sie gebrochen sind und nicht so gut sind wie andere Menschen. Es kann sein, dass sie morgens im Bett liegen und nicht aus dem Bett aufstehen können, weil sie glauben, dass diese Welt eine sehr abweisende Welt ist oder dass es keinen Platz für sie gibt.
Wir als Therapeuten müssen keine Angst vor dem haben, was wir negative Emotionen nennen, und sie vermeiden. Wir können unseren Klienten helfen, sich auf diese negativen Emotionen einzulassen: den Schmerz der Ablehnung, den Schmerz, sich nicht gut genug zu fühlen, den Verlust und die Traurigkeit darüber. Und dann können wir helfen, all das zu verarbeiten und den anderen, mitfühlenden Teil zu finden, der sagt: "Moment mal, es stimmt, ich wurde wirklich oft heruntergemacht. Mir wurde gesagt, ich sei kaputt. Das war damals und es ist bis heute sehr traurig. Und ich beginne zu begreifen, dass das sehr traurig und verwirrend für mich ist. Ich verdiene Besseres." Wir alle haben diese Allergien gegen Emotionen. Wir haben Angst vor ihnen, weil wir nicht wissen, was wir mit ihnen tun sollen, und hier können wir als Therapeuten helfen.
Hast du einen Rat, wie wir den negativen Emotionen, die zusammen mit Depressionen auftreten, begegnen können?
Yolanda von Hockauf: Wir neigen dazu, uns von diesen negativen Emotionen, wie Ärger oder Angst, entfernen zu wollen. Wir müssen eigentlich entgegen unseres Impuls handeln. Wir müssen uns auf diese Gefühle zubewegen.
Bei EFT unterscheiden wir zwischen sekundären und primären Emotionen oder zwischen reaktiven und Kernemotionen. Unsere unerfüllten Bedürfnisse finden wir in unseren Kernemotionen. Aber Menschen zeigen eher reaktive Emotionen wie Wut, Scham oder Enttäuschung und sind nicht in der Lage, sich in ihren Kernemotionen wohl zu fühlen. Warum ist das so?
Das liegt daran, dass sie in ihren Kernemotionen nicht gehört wurden. Sie hatten keine Gelegenheit, sich anerkannt und bestätigt zu fühlen. Und deshalb waren sie nicht in der Lage, sich so akzeptiert zu fühlen, dass sie in der Lage waren, wirklich auf die wahren Gefühle darunter zu hören. Wir müssen da tatsächlich hineingehen und diesen reaktiven Emotionen einen Sinn geben. Und die Art und Weise, wie wir ihnen einen Sinn geben, ist durch die Linse der Bindungstheorie.
Wie deuten wir Ärger aus Sicht der Bindungstheorie? Es geht darum, nicht gehört zu werden. Vielleicht geht es um Verletzung. Wie deuten wir in der EFT Ängste? Es geht um die ständige Panik, in beängstigenden Momenten niemanden erreichen zu können. Angst ist meine Alarmglocke, die losgeht, weil ich nicht weiß, wie ich sonst jemanden erreichen kann. Angst bedeutet: Ich brauche Beruhigung, ich brauche Liebe, ich muss wissen: "Es geht mir gut".
Was rätst du Paaren oder Einzelpersonen, die diese Bindungsperspektive in ihren Beziehungen öfters nutzen möchten?
Yolanda von Hockauf: Die Linse der Bindungstheorie ist in uns verkabelt. Es ist normal, dass wir eine Verbindung brauchen. Wie Sue sagen würde: Bindung ist wie Sauerstoff, wir sterben ohne sie. Und wenn ihr nicht genug davon hattet oder wenn ihr erfahren habt, dass Verbindung nicht gesund ist, wagt euch bitte aus euch heraus und finden Sie heraus, dass Bindungen das Gesündeste und Lebenserhaltendste sind, das wir haben können. Sauerstoff in unseren Herzen und Seelen - das ist Verbindung und Bindung. Und es ist in Ordnung, Hilfe zu holen - solange es EFT ist.
Vielen Dank für das Interview!
Ich bin Dr. Sharon Brehm und biete systemische Paartherapie und EFT-Paartherapie in München an. Meine Praxis für Einzel-und Paartherapie ist im Zentrum Münchens.
Auf meinem Blog findest du Wissenswertes über das Lieben: Von Interviews mit anderen Paartherapeut*innen, über Kolumnen über Emotionen, bis zu Tipps bei Beziehungsproblemen. Eben alles, rund um Beziehungen, Dating, Trennungen, Verlieben, Emotionen.
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Fotocredit: Diego Rezende via unsplash