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„Erfahrung Paartherapie“: Andrea Bräu erzählt, wie wir in Beziehungen heilen können.

Kritik und Feedback sind auch in Beziehungen wichtig und ein Zeichen für Nähe. Was bedeutet es aber, wenn Nörgeleien und Abwertungen mehr verletzten als Gutes bringen? Was steht hinter Beleidigungen? Wie können wir davon heilen? Diese Fragen stelle ich Andrea Bräu im Interview. Andrea Bräu bietet Paartherapie und Sexualtherapie in München an.  Sie hat zwei Bücher – über Kommunikation im Bett und über Fremdgehen – geschrieben. Als offene und warmherzige Expertin auf dem Gebiet der Liebe, interessiert mich ihre Erfahrung aus der Paartherapie.

 

Welche Muster erkennst du als Expertin für Paarbeziehungen hinter ständigen Abwertungen und Kritik?

Andrea Bräu: Wenn ein Partner den anderen ständig abwerten und kritisieren muss, ist dies oft ein Zeichen für Instabilität: Ich fühle mich in unserer Beziehung nicht sicher, ich bin unglücklich, ich fühle mich nicht geliebt oder habe Angst, dass ich dir nicht wichtig genug bin. Instabilität, die zunächst mit einem selbst zu tun hat. Ein Großteil aller Menschen holt sich die innere Stabilität auf Kosten einer anderen Person zurück: Abwertung, Kritik, Rückzug, beleidigt sein. Wenn es nicht mehr neutrales Feedback ist, sondern ständige Abwertungen und Kritik, kann das ein Anzeichen für eine „besondere“ Beziehung sein, wie es Marianne Williamson beschreibt.

Was meinst du mit einer besonderen Beziehung?

Andrea Bräu: Im ersten Augenblick denkst du, eine besondere Beziehung, das klingt jetzt schon toll. Nein, eine besondere Beziehung ist eine Beziehung, in der wir auf diesen einen besonderen Menschen warten. Diejenige Person, die uns komplettiert und die uns vermittelt, wie toll wir sind. Unsere zweite Hälfte. Doch in dieser Beziehung bist du auch selbst immer darauf bedacht, dich nicht wirklich zu zeigen, weil du Angst hast, dass der andere ansonsten weg ist. Ich habe einen besonders schönen, besonders intelligenten Mann – aber ich bin auch besonders anders. Und das ist nicht so, wie ich eigentlich bin.

Wie sieht denn die Alternative zu einer besonderen Beziehung aus?

Andrea Bräu: Die Alternative zu einer besonderen Beziehung heißt “heilige” oder “heilende” Beziehung. In einer heiligen und auch heilenden Beziehung ist nicht das Ego vorherrschend, sondern letztendlich die Liebe. Wir zeigen uns dem anderen genauso, wie wir sind. Ganz ungeschminkt und ehrlich. Erst dadurch haben wir die Chance in unserer Verletzlichkeit zu heilen. Wenn jemand noch da ist, obwohl wir ihm einen Abgrund gezeigt haben, dann können wir wachsen und das ist so viel wert.

 

Kann sich eine besondere Beziehung auch in eine heilende Beziehung entwickeln?

Andrea Bräu: Ob ich eine Beziehung führe, in der ich wachse, liegt nicht an meinem Partner, sondern es geht darum, dass ich selbst die Dinge wohlwollender wahrnehmen möchte. Ich selbst muss den eigenen Blick und die eigene Haltung verändern. In dem Moment, in dem ich mein Gegenüber anders sehe, hat er auch die Möglichkeit anders zu wirken und anders zu reagieren.

Sich einzugestehen, dass man selbst für jede Situation verantwortlich ist, ist unbequem und schmerzhaft. Es braucht Mut, aber nur so kann eine echte Verbindung entstehen. Gehe davon, dass die Person, die dich verletzt hat oder dir etwas Böses tut, dies entweder aus Liebe oder aus dem Schrei nach Liebe tut. Damit komme ich von der Bewertung und Selbstabwertung weg. Und wer davon frei wird? Ich. Mir geht es damit besser. Und das ist heilend.

Aus deiner Erfahrung mit Paartherapie: Was sagst du Paaren, um eine heilende Beziehung zu führen?

Andrea Bräu: Eine Beziehung ohne Maskerade setzt eine gewisse Reife voraus. Mit einem derartigen Reflexionsbewusstsein liegen wir weit über dem Durchschnitt. Solange es nur um gegenseitige Anschuldigungen geht, hat man kaum eine Chance. Um in einer Beziehung zu heilen, muss ich in einem Zustand sein, in dem ich wirklich bereit bin, in den Spiegel zu schauen. Und das ist die Voraussetzung zum Heilen. Sonst benutze ich den anderen, um mich besser zu fühlen.

Außerdem braucht es dazu Wohlwollen. Wir wissen ja selbst, in der Vergangenheit konnten wir es noch nicht anders. Sonst hätten wir so manche Entscheidung anders gefällt. Selbstreflexion bedeutet nicht, sich zu verurteilen. Denn wenn ich mich selbst verurteile, verurteile ich auch andere. Es geht bei uns los. Nehmen wir das Thema, dass viele Männer und Frauen meinen, sie wären nicht gut genug, sie wären zu viel, zu wenig. Erst In dem Moment, in dem ich zu mir stehe, passiert auch etwas im Außen.

Was mache ich, wenn mein Partner nicht zur Paartherapie mitkommen möchte?

Andrea Bräu: Paartherapie bedeutet gemeinsame Lösungen zu finden und sich gemeinsam zu entwickeln. Stell dir vor, dass die Paare mit einem Gummiband verbunden sind. Ein Partner geht 10 mal alleine in die Paartherapie und löst Themen für sich und setzt sich mit sich selbst auseinander. Der Partner, der sich nicht entwickeln möchte, muss extremen Widerstand aufbringen, um zu verhindern, dass die Spannung größer wird. Wenn beide sich weiter in unterschiedliche Richtungen bewegen, wird die Spannung immer größer und irgendwann wird die Verbindung reißen.

Wenn der eine sich entwickelt, dann bleibt der andere zurück – ob er will oder nicht. Und wenn er nicht dazukommt, dann ist es unklar, wohin es geht. Ich kann niemanden zu einer Entwicklung zwingen, und ich kann ihn auch nicht umerziehen. Wenn ich mich aber durch Therapie entwickelt habe, steigt die Wahrscheinlichkeit „anders“ zu gehen. Der andere ist kein Schwein, kein Arschloch, sondern ich habe erkannt, dass wir unterschiedliche Wege gehen müssen.

Studien haben inzwischen mehrfach belegt, dass die Beziehung zum Therapeuten den Erfolg einer Paartherapie maßgeblich beeinflusst. Was erwartet Paare in einer Paartherapie mit dir?

Andrea Bräu: Das Feedback meiner Klientinnen und Klienten ist, dass ich sehr klar, sehr direkt, aber auch wohlwollend bin. Meistens gelingt es sehr schnell, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen – und das ist wichtig, um wirklich an den Themen zu arbeiten. Dabei hilft sicherlich meine kontaktfreudige Art und dass die Therapie in einer angenehmen Wohnzimmeratmosphäre stattfindet und keine steife Angelegenheit ist. Außerdem, mir ist die Begegnung auf Augenhöhe wichtig.

Wer in eine Paartherapie kommt, hat manchmal Angst, verurteilt zu werden. Diese Angst braucht man bei mir nicht zu haben. Diese Angst ist insofern überflüssig, als dass ein bewertender Therapeut wohl kaum der Richtige wäre. Viele meiner Klienten sagen am Ende einer Sitzung, dass es gar nicht so schlimm war, wie Anfangs befürchtet.

Außerdem kann ich durch meine Schnelligkeit in der Analyse von Paarthemen Hoffnung vermitteln. Ich arbeite sehr schnell und weil Geschwindigkeit Hoffnung macht, ist es hilfreich, die Paardynamiken rasch zu erkennen. Dann entscheidet sich das Paar, ob sie hier weiterarbeiten möchten oder lieber in ihrer Komfortzone bleiben möchten. „Speed makes Hope.“ Denn nach dem ersten Mal haben viele schon erste, kleine Erfolge und neue Impulse.

Wie geht es Klientinnen aus deiner Erfahrung damit, wenn Probleme angesprochen werden?

Andrea Bräu: In den meisten Fällen begrüßen meine Klientinnen das sehr. Unklarheit ist einer der größten Energieräuber in Beziehungen. Und deswegen bin auch ich sehr direkt. Außerdem entscheiden Klientinnen selbst, was sie annehmen und mitnehmen. Wir sind dann in einem guten Austausch darüber, wo Druckstellen sind. Dort, wo Wahrheit ist, die lange ignoriert wurde, tut es auch weh. Denjenigen, die den Mut haben, zu reflektieren und dafür auch die Verantwortung zu übernehmen, geht es mit dieser Klarheit und Ehrlichkeit sehr gut.

Es hat sich auch noch niemand getrennt, weil ich so ehrlich war oder etwas Falsches gesagt habe. Und es ist auch noch niemand zusammengeblieben, nur weil ich so nett bin.

Was wäre das Gute daran, wenn mehr Menschen sich einer Paartherapie anvertrauen würden?

Andrea Bräu: Wir duschen doch auch oder putzen regelmäßig unsere Zähne. Mit unserer Psychohygiene ist es aber noch nicht so weit wie mit unserer Körperhygiene. Wenn wir mit uns innerlich aber nicht im Reinen sind, beschmutzen wir unsere Beziehungen. Paartherapie ist also auch eine Form emotionaler Hygiene. Außerdem, wenn wir mehr heilige Beziehungen hätten, glaube ich, dass vieles besser wäre. Nicht weil ich ein Weltverbesserer bin. Aber wir merken doch alle, dass wir besser drauf sind, dass wir mehr positive Gedanken haben, dass wir mehr Energie haben, wenn wir uns glücklich und sicher in unserer Beziehung fühlen.


Auf meinem Blog findest du Wissenswertes über das Lieben: Von Interviews mit anderen Paartherapeut*innen, über Kolumnen über Emotionen, bis zu Tipps bei Beziehungsproblemen. Eben alles, rund um Beziehungen, Dating, Trennungen, Verlieben, Emotionen.

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Umgang mit Streit, Heilung in Beziehung, die Bedeutung von Emotionen, das Gelingen von Partnerschaft – all das sind Themen, die uns ständig begleiten. Dr. Sharon Brehm interviewt in „Erfahrung Paartherapie“ die Expertinnen dieser Themen: Paartherapeutinnen und Love Coaches. Außerdem soll es Paaren Lust auf Paartherapie und Paarberatung machen. Denn an seiner Beziehung zu arbeiten hat weniger mit Krankheit zu tun. Es bedeutet vielmehr gemeinsames Wachstum und persönliche Größe.

Titelbild: Caleb Ekeroth via unsplash